Gildenschaft im 21. Jahrhundert

Die Freideutsche Jugend
will aus eigener Bestimmung,
vor eigener Verantwortung
und mit innerer Wahrhaftigkeit
ihr Leben gestalten.
Für diese innere Freiheit
tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.
(Hoher Meißner, 1913)

Die Deutsche Gildenschaft ist eine jugendbewegte akademische Gemeinschaft.

Entstanden aus der Erlebniswelt des Wandervogels und der lebensreformerischen Aufbruchstimmung des beginnenden 20. Jahrhunderts, schuf sie eine neue Form akademischen Zusammenlebens: Auf Wanderfahrten entwickelte sie eine tiefe Naturverbundenheit, eine innige Heimatliebe sowie eine feste Verwurzelung in unsere Kultur.

Aufgrund des Zusammentreffens und Auseinandersetzens mit unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten verwarf sie Standesdünkel und verstand das Akademikersein nicht als Stand, sondern als Auftrag.

Durch das intensive Gemeinschaftserlebnis war in der Jugendbewegung der ganze Mensch und nicht seine politische oder religiöse Ausrichtung ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zur Gruppe. Dieses ganzheitliche Prinzip gilt auch in unseren heutigen Hochschulgilden und ist uns von unschätzbarem Wert für eigenständige Persönlichkeitsbildung und die Entwicklung eigener Standpunkte zu den Zeit- und Ewigkeitsfragen der Menschheit.

Mit Blick auf die damals jüngste deutsche Vergangenheit und den entstandenen Ostblock, erkannte die Gildenschaft bei ihrer Neugründung 1958, daß ein freiheitliches Leben nur in einem demokratischen Rechtsstaat möglich ist. Das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist seither zentraler Pfeiler gildenschaftlicher Arbeit. Aus dieser Grundüberzeugung heraus ist totalitäres Gedankengut, sei es politischer, religiöser oder weltanschaulicher Natur, mit den Zielen der Deutschen Gildenschaft unvereinbar.

Wir wissen, auch aufgrund unserer eigenen Geschichte, daß eine einseitige Überbetonung des eigenen Volkes und der eigenen Nation zu engstirnigem, gefahrvollen Verhalten führen kann. Zugleich lehnen wir eine so genannte „antideutsche“ Haltung entschieden ab und treten ein für eine Aussöhnung des deutschen Volkes mit sich selbst.Achtung vor Anderen und Selbstachtung gehören für uns untrennbar zusammen.

Teil der „Aussöhnung unseres Volkes mit sich selbst“ ist ein aufrichtiger Umgang mit der Vergangenheit. Sie beinhaltet helle Seiten, auf die man stolz sein kann und dunkle Seiten, für die man sich schämen muß. Wir wollen unseren Blick weder vor dem einen noch vor dem anderen verschließen, sondern beides als Teil unserer Geschichte annehmen.

So wie unsere Verbundenheit zur Natur, zu unserer Heimat und unserem Land auf tiefer jugendbewegter Überzeugung beruht, beruht auf ihr ebenfalls unsere Ablehnung von nationaler Überheblichkeit und der Diskriminierung und Mißachtung von Menschen aufgrund ihrer kulturellen oder religiösen Herkunft. Schon immer haben Personen aus ursprünglich anderen Kulturen in Deutschland ihren Platz finden, und gleichberechtigter Bestandteil unserer Gesellschaft werden können.

Die Salzburger Erklärung macht die „einseitige Orientierung an einem materialistischen und individualistischen Lebensstil“ verantwortlich für die „Gleichgültigkeit und die ablehnende Haltung großer Teile unseres Volkes gegenüber den neuen Aufgaben“, die Anfang der 90er Jahre die Wiedervereinigung mit sich brachte. Diese Feststellung betrifft auch die Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Unser Leben als Bund, das diesem Lebensstil Einstehen füreinander, freies Denken und Bindung gegenüberstellt, schafft in unserem Rahmen ein gesundes, menschliches Fundament für unsere Mitglieder.

Die Globalisierung mit ihren Chancen und Risiken, Massenkonsum, Verlust handwerklicher Leistungen und Bildung, geforderte Flexibilität des Menschen, Migration, Zerstörung gewachsener Kulturen und natürlicher Ökosysteme sowie Virtualisierung des Lebens sind nur einige Herausforderungen unserer Zeit, denen sich die Deutsche Gildenschaft zu stellen hat. Wir wollen diese Herausforderungen als Möglichkeit begreifen, am Aufbau einer gerechteren, nachhaltigen Welt mitwirken zu können. Das 20. Jahrhundert als Zeitalter der Extreme mahnt uns dabei, daß nur ein freier, undogmatischer und differenzierter Blick den Weg bereiten kann in eine bessere Zukunft.

rosé (Aktivensprecher), Herbst 2008